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2007
Bilder © LadobleA / Capelight
***** La Antena
esteban sapir


In einer schneebedeckten Stadt, deren Bewohner keine Stimme mehr haben lebt die kleine Ana mit ihrer Mutter, die als Krankenschwester ihren Lebensunterhalt verdient. Ihr Ex-Mann und dessen Vater arbeiten bei dem mächtigen Fernsehsender der Stadt, dessen Besitzer, Mr.TV, die Kontrolle über die letzte verbliebene Stimme hat und regelmässig die Menschen an Radio und TV fesselt. Doch Mr.TV erfährt, dass es einen Jungen gibt, den "Jungen ohne Augen", der die Gabe der Stimme hat und damit seine hinterhältigen Pläne zur völligen Kontrolle der Stadt vereiteln könnte. Also hetzt er seine Schergen auf den Jungen um ihn zu beseitigen.

Bevor wir uns näher mit Esteban Sapirs neuestem Film beschäftigen kann die Frage gestellt werden, wer denn im heutigen Filmgeschäft noch den Mut hat, einen Spielfilm im schwarz-weiss-Look zu drehen ? Spontan fallen einem da zwei Antworten, zwei Gründe ein: Idealismus gepaart mit Liebe zu einer vergangenen Filmepoche. Ein Idealismus, der auf keine Anerkennung auf finanzieller Basis schielt. Und ein schmales Budget. Liest man Äusserungen des Regisseurs so ist es eben jene Liebe zum Kino, die ihn zu kreativen Höchstleistungen antreibt, ganz gleich ob ein Massenpublikum sich seine Filme ansieht.

In vergangen Jahren haben wir erlebt wie in s/w-gedrehte no- und low-Budget-Filme wie ‚Tote tragen keine Karos (1982)', ‚ Clerks (1994)' und ‚ The American Astronaut (2000)' durch ihre ideenreiche Geschichte, überraschenden Einfälle und smarte Dialoge ein offenes, ‚tunnelblickfreies' Publikum begeisterte. In den letzten Jahren hat auch Hollywood mit durchwachsenem Erfolg versucht das s/w-Format einem größeren Publikum ‚unterzujubeln'. Prominente Vertreter sind dabei Steven Soderbergh ("The Good German", 2006), George Clooney ("Good Night and Good Luck", 2005), Robert Rodriguez ("Sin City", 2005) und die Coen Brüder ("The Man Who Wasn't There", 2001).

Das europäische Kino nutzte diesen monochromen Look kürzlich in Filmen von Cristian Volckman ("Renaissance", 2006), Géla Babluani ("13 - Tzameti", 2005 ) oder Luc Besson ("Angel-A", 2005). Und jetzt also kommt man dieser Tage in den Genuss eines argentinischen Beitrags, der zunächst 2004 auf 16 mm gedreht und in den folgenden Jahren u.a. mit finanzieller Unterstützung des Rotterdamer Filmfestivals (dort fand auch Anfang 2007 die Weltpremiere statt) fertiggestellt werden konnte. Der Film lief bereits erfolgreich auf verschiedenen Festivals und erscheint in Deutschland im September (leider nur) auf DVD (Capelight).

Wenn man sich ‚La Antena' auf der großen Kinoleinwand ansieht dann wünscht man sich förmlich, dass viele Menschen sich von der visuell beeindruckenden Geschichte und den liebevoll gestalteten Filmdetails und Ideen fesseln, verzaubern und vor allem emotional berühren lassen. Denn mag die Geschichte an sich simpel gestrickt sein, mitunter geradezu theatralischer Gestik der Protagonisten, so geschieht dies alles im Sinne des Ursprungsgedanken, den Zuschauer in eine fast vergessene Filmepoche zu führen, die 70, 80 Jahre zurückliegt. Fast meint man schon, Charlie Chaplin müsste gleich um eine der Hausecken hervorgucken. Und beim Look von ‚La Antena' werden einem sofort weltweite geschätzte Werke von Sergeij Eisenstein und Fritz Lang in Erinnerung gerufen. Insbesondere ‚Metropolis (1927)' scheint eine große Inspirationsquelle für Regisseur Esteban Sapir gewesen zu sein.

In ‚La Antena' stecken viele kleine Geschichten, Statements und Themenkomplexe. Da ist die Freundschaft zwischen Anna und dem Jungen ohne Augen, starke Familienbande zwischen Ana, ihrem Vater und dem Großvater und die erneute Annäherung von Annas geschiedenen Eltern, die allerdings sehr mühsam voran geht oder auch der Verlust des Arbeitsplatzes. Dem Gegenüber steht der Schurke der Aufführung, der skrupellose Mr.TV, der die einzige Frau beherrscht, die eine wunderbare (Gesangs)Stimme hat. Ihm untersteht eine furchterregende, bösartige, zwergenhafte Gestalt, die wie eine Kreuzung aus ‚Elefantenmensch' und Eidechse anmutet und mit seinen schwerbewaffneten Vasallen die Drecksarbeit erledigt. Und ein sinistrer Dr.Y mit seinen monströsen Apparaturen gefällt als eine Art Stummfilm-Mabuse.

In dieser Konstellation steckt auch das politische Statement des Esteban Sapir, denn allein schon mit der später deutlicheren Symbolsprache (Hakenkreuz vs. Davidsstern), ist ‚La Antena' auch ein Plädoyer für den Widerstand gegen die Unterdrücker was an den Kampf gegen den Faschismus erinnert. In diesem Fall ist es wiederum eine kleine Gruppe Menschen, die sich gegen den alles und vor allem die Massen beherrschenden Monopolisten zur Wehr setzt. Durch die von ihm kontrollierte und gefilterte Informationsübertragung bestimmt Mr.TV das Schicksal der Menschen in seiner Stadt, in einer Stadt wo die Menschen zu Konsumenten buchstäblicher ‚TV-Nahrung' werden. Sapir nutzt bei der Realisierung seines Projekts die unterschiedlichsten ihm zur Verfügung stehenden Stilmittel. Techniken wie das Arbeiten mit der ‚Green-Screen' bis hin zu Miniaturmodellen kommen dabei auch unter Zuhilfenahme digitaler Methoden zum Einsatz.

Die Art und Weise wie Sapir die Bildsprache nutzt ist clever und sprengt regelrecht die konventionellen Grenzen, die wir sonst aus Filmen dieser Epoche kennen. Denn wie aus Stummfilmen bekannt wurde damals der geschriebene Text zum Verständnis des dramatischen Geschehens als zwischengeschobenes Bild - weißer Text auf schwarzem Hintergrund - verwendet. Sapir wiederum behandelt den Text wie einen eigenen Charakter im Film, d.h. der Text darf mit auf die Leinwand, mit den Personen und diese reagieren auch unmittelbar darauf, z.B. wenn ein Ausspruch einfach 'weggeschoben' wird. Und die unterschiedliche Form und Gestaltung der Schriftzüge hilft dem Zuschauer die emotionale Lage der Protagonisten eindeutiger zu erfassen und besser bzw. einfacher zu inerpretieren.

Mit der Art und Weise wie Sapir mit den Wörtern visuell umgeht zollt er auch dem Comicbuch seine Referenz, denn dort sind diese sogenannten Sprechblasen ein unverzichtbares Element. Ein passender Satz im Film dazu lautet: "Sie haben uns die Stimme genommen, aber wir haben immer noch die Wörter". Das Problem, wenn man es als solches bezeichnen möchte, das sich für den Film allerdings stellt ist die Sprache, denn der Text im Film ist spanisch. Nun gibt es eine Reihe Länder, die damit keine Probleme haben, doch darüber hinaus bleibt nur die Option der Untertitel. Und dies wiederum ist nicht gerade ein Vorteil in der Vermarktung des Films für ein größeres Publikum. So wird dieser Film ein Arthaus-Phänomen bleiben was ja auch nicht das Schlechteste ist.

Sind die Wörter im Bild ein Schlüsselelement von ‚La Antena' so ist ein weiteres für den Stummfilm unverzichtbares Element, weil Emotionskatalysator, die begleitende Musik. Und da wird jeder Klassikfan und hoffentlich auch der Gelegenheitshörer begeistert sein, denn die Stimmung des Films wird hier noch stärker durch die durchgängigen Instrumentalbeiträge bestimmt als wir es aus dem Tonfilm kennen. Stumm sind ja die Vorgänge im Film selbst - ein Türenknallen oder Autogeräusche gibt es nicht - nur zwei, drei Ausnahmen gibt es. Dem bedrohlichen Geknattere von Maschinengewehr und Pistole sowie der zunächst einmaligen weiblichen Stimme, die mit bezaubernden argentinischen Tangorhythmen einlullt, werden Sonderstellungen eingeräumt. Dadurch werden Angst und Hoffnung auch akustisch hervorgehoben.

‚La Antena' ist eine optisch beeindruckende in s/w gefilmte Hommage an die fast vergessene Stummfilmepoche. Mit viel Liebe zum Detail, gespickt mit skurrilen Charakteren und überraschenden, gewitzten Einfällen und einer berührenden Bildersprache erzählt der argentinische Regisseur Esteban Sapir in seinem zweiten Spielfilm die Geschichte von einer Familie, die den Mut hat sich gegen Fremdbestimmung und Unterdrückung zur Wehr zu setzen. Ein ungewöhnlicher Film, der auch zum Nachdenken anregt und niemanden der Untertitel wegen abschrecken sollte, denn ‚La Antena' gehört zu den besten Filmen, die man dieses Jahr sehen wird. Wer die Chance hat sollte dies im Kino tun!


Text © Markus Klingbeil
VÖ: 29.07.2007

Filmtitel

(Originaltitel)

Land Jahr. Farbe o. s/w. Originalsprache: n/a. Länge: n/a Min. Bildverhältnis: n/a Kinostart: n/a (USA) n/a (D). Budget: n/a Mio. USD Einspiel: n/a Mio. USD (USA) Regie: n/a. Buch: n/a. Screenplay: n/a. Kamera: n/a. Schnitt: n/a. Musik: n/a. Darsteller: n/a.
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