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  festival international du film francophone

25. Französische Filmtage Tübingen-Stuttgart

(11.-19.11.2008): Im Jubiläumsjahr präsentiert das Filmfest wieder eine Reihe interessanter Beiträge aus Frankreich und Afrika. Die Hauptaktivitäten finden wie üblich in Tübingen statt, doch auch in Stuttgart werden 17 Filme gezeigt, darunter alle 9 Wettbewerbsfilme. Die Zuschauer entscheiden sowohl in Stuttgart als auch in Tübingen über den Publikumspreis, der mit 2.500 Euro dotiert ist. Der Betrag wird in Stuttgart von der Landeshauptstadt gestiftet, in Tübingen von "Vereinigte Lichtspiele", den Tübinger Kinos Museum und Blaue Brücke.

Im folgenden einige Zeilen über die bisher in Stuttgart gelaufenen Filme.
Komplettes Programm: Offizielle Seite

Les plages d'Agnès (nur Pressevorführung)
Mitte 2006 entschloss sich Agnès Varda etwas besonderes für ihren 80. Geburtstag zu machen. Ein Selbstporträt. 1 ½ Jahre nahm sie sich Zeit um die Orte ihrer Kindheit in Belgien aufzusuchen, alte Bekannte wiederzusehen und sich an ihren beruflichen Werdegang zu erinnern, der für sie als Fotografin begann. 1954 drehte sie ihren ersten Spielfilm mit einem damals noch jungen, unbekannten Philip Noiret. Bei ihrer persönlichen Zeitreise begegnet man vielen bekannten Darstellern, die z.T. ihren Durchbruch noch vor sich hatten. Varda erzählt ihre Lebensgeschichte durch Kommentare direkt in die Kamera, aus dem Off gesprochen, anhand von Photos und Filmausschnitten. Sie demonstriert ihre künstlerische Ader, z.B. wenn sie eine Strasse mit Sand aufschüttet, Gegenstände positioniert und Passanten mit ihrer Schauspielercrew unterhält. Das Porträt zeigt, dass Varda eine vielseitige Person war und immer noch ist, dass sie eine Hollywoodkarriere hat sausen lassen, weil sie schon bei Verhandlungen mit dem großen US-Studio Columbia darauf bestand, das Recht des "Final Cuts" zu behalten. Auch Jacques Demy, ihren 1990 an den Folgen von AIDS verstorbenen Ehemann, würdigt sie als wichtigen Teil ihres Lebens. Der Bogen umspannt dann auch die Zeit heute, mit ihren Kindern und Enkelkindern, die sich dem Betrachter nicht entziehen. Doch Varda bestimmt selbst wie viel sie preisgibt und vermeidet damit den Boulevard-Homestory-Geschmack in dem sie erst gar keine Aufnahmen von Innern ihres Wohnhauses mit einbringt. Und das sollte man respektieren. Vardas Leben und ihre über 50 Jahre andauernde Karriere in 110 Minuten enthält genug Anekdoten um den Zuschauer bei Laune zu halten. Die drei Filme Vardas in der Tribute-Reihe werden übrigens nur in Tübingen gezeigt.

Un Secret - Ein Geheimnis
Als Eröffnungsfilm wurde Claude Millers Romanverfilmung gewählt. Starbesetzt mit Cécile de France, Ludivine Sagnier und Mathieu Amalric versucht ein 15-jähriger Junge mehr über die Vergangenheit seiner Eltern zu erfahren, die sich schon vor Ausbruch des Zweiten Weltkrieges kannten, aber viele tragische Ereignisse später erst zueinander fanden. Miller beschreibt das Leben der jüdischen Familien in ruhigen Bildern und enthüllt nach und nach die Hintergründe einer Liebe, die zerstörerisch wirkte. In Frankreich lief ‚Un Secret' bereits im Oktober 2007. Deutscher Kinostart ist der 18.12.08

57000 km entre nous
Fast im Alleingang stellt Delphine Kreuter ihr mit Digitalkamera gedrehtes Multimedia-Projekt auf die Beine und scheitert kläglich. Sie konstruiert eine Geschichte um eine Familie, die dem Selbstfilm-Wahn nebst Webcam verfallen ist, praktisch jeden ihrer Schritte digital festhält. Es gibt da den transsexuellen Vater, der jetzt eine Frau ist; die Tochter, die per Webcam mit einem Todkranken auf der Intensiv-Isolierstation kommuniziert und glaubt dabei eine Entfernung von -Achtung! - 57000 km zu überbrücken; die Mutter des Patienten, die im Nobelhaus wohnt, aber den Anblick des sterbenden Sohnes nicht ertragen kann und regelmäßig das Webcambild abschaltet. Als Stargast macht sich Bond-Bösewicht Mathieu Amalric zum Affen, pardon, zum nuckelnden Perversling, der sich gerne den Hintern versohlen lässt. Was aber schlimmer als die "Geschichte" ist, ist die Art und Weise wie sie dem Betrachter vorgesetzt wird. 1 1/2 Stunden übelste Wackelkamera mit schnellen Schnitten, so dass es einem schon nach zwei Minuten ordentlich die Stimmung verhagelt. Als Filmbeitrag ein glatter Fehlgriff, als Wettbewerbsbeitrag umso ärgerlicher.

Séraphine
Martin Provost nimmt sich in seinem dritten Spielfilm eine Künstlerbiographie vor. Titelgebende Protagonistin ist die Malerin Séraphine de Senlis, die von einem frankophilen Deutschen noch vor dem ersten Weltkrieg entdeckt, aber erst Jahre später richtig gefördert wird und ihre Schwierigkeiten damit hat, den plötzlichen Ruhm und übersprudelnden Geldfluss zu verkraften. Der Film wird getragen von einer überzeugenden Yolande Moreau, die auch in einem weiteren Festivalbeitrag (Louise Michel) die Hauptrolle spielt. Den deutschen Förderer und Kunstliebhaber Wilhelm Uhde spielt Ulrich Tukur, der mühelos zwischen den Sprachen hin- und herwechselt. Eine interessante Geschichte, die allerdings mit zwei Stunden etwas lang geraten ist.

Française
Der marokkanische Wettbewerbsbeitrag erzählt von einer Familie, die in Frankreich gelebt hat, dann aber wieder in ihre Heimat Marokko zurückgekehrt ist. Das gefällt der 18-jährigen Sofia überhaupt nicht, ist sie doch in Frankreich geboren, fühlt sich als Französin und will unbedingt wieder dahin zurück. Trotz der Widerstände von Mutter und Vater versucht sie alles um sich ihren Wunsch zu erfüllen und Studium in der Stadt und Feldarbeit auf dem Land bei den Eltern unter einen Hut zu bringen. Beim letztjährigen Festival fiel die 20-jährige Hafsia Herzi schon mit ihrer wunderbaren Darstellung der tatkräftigen Rym in ‚Couscous mit Fisch' auf und auch in "Française" begeistert sie wieder mit ihrem natürlichen, glaubwürdigen Spiel.

Le Tuer
Cédric Anger, bisher als Drehbuchschreiber tätig, gibt sein Langfilmdebut mit diesem spannenden Thriller über das Duell zwischen einem Investmentmanager und einem Killer. Der Auftrag ist da, der Ausführende auch, doch das Opfer riecht Lunte und will mit seinem Mörder in spe einen Deal machen. Anger besinnt sich auf eine ruhige Gangart und vermeidet amerikanische Actionklischees sondern setzt hier und da gekonnt Sequenzen in Szene, die wie er im anschließenden Publikumsgespräch erzählte zwar von einer Reihe Film inspiriert sind, aber nur stilistischen Gründen zufolge integriert wurden. Keine wirkliche Hommage an Hitchcock, Wenders, Melville oder Kaurismäki, aber insgesamt doch stimmig. In den Hauptrollen keine Unbekannten des französischen Kinos. Gilbert Meki kennt man z.B. aus Luc Bessons ‚Angel-A', Grégoire Colin spielte in mehreren Filmen von Claire Denis und Mélanie Laurant war zuletzt in der schönen Hommage an die französische Hauptstadt in ‚So ist Paris' zu sehen. Z.Zt. dreht sie mit Quentin Tarantino.

Affaire de Famille
Unverhofft brachte die Spätvorstellung ein Juwel der Gangsterkomödie ans Licht. Doch eigentlich ist Claus Drexels Langfilmdebut eine rabenschwarze Komödie, wie sie die Coen Brüder auch nicht hätten besser inszenieren können. Im Mittelpunkt steht besagte Familie, die in den Überfall auf das lokale Fußballstadion verwickelt wird. Denn 200.000 Euro liegen plötzlich auf dem Tisch und Gier und Misstrauen machen aus einer gut-bürgerlichen französischen Familie eine Bande von egoistischen Aasgeiern. Nicht dass das so geplant oder gemeint war aber die geschickt und fast ausnahmslos nachvollziehbaren Handlungszufälle machen das Zusehen zum Mordsspaß im wahrsten Sinne des Wortes. Doch die wunderbaren Schauspieler sind es, André Dussollier (Lemming), Miou-Miou (Nobody ist der Größte), zwei Veteranen des französischen Kinos, sowie Newcomerin Hande Kodja als eigenwillige Tochter, die den Film zum abwechslungs- und überraschungsreichen Genuss machen.

Mascarades
Kleider machen Leute heißt es. In einer algerischen Kleinstadt reicht schon die über Klatsch und Tratsch verbreitete Neuigkeit, dass ein reicher Mann die schöne aber an Narkolepsie leidende Rym, die Schwester von Mounir, heiraten will. Dass man in der Beliebtheitsskala nach oben schnellt ist dabei ein sehr willkommener Effekt. Doch Mounir hat diese Falschmeldung im Suff verbreitet, weil er nicht den Respekt von Freunden und Dorfbewohnern erhält, der ihm seiner Meinung nach zusteht. Schlimmer noch, sein finanziell wenig betuchter Freund trifft sich schon seit mehreren Jahren heimlich mit Rym. Wie aus einer kleinen Lüge immer größere Verstrickungen in Unwahrheiten werden ist für das Publikum ein großer Spaß. Lyes Salem, der nicht nur die Hauptrolle des sich selbst überschätzenden Mounirs übernimmt, sondern auch für Drehbuch und Regie verantwortlich zeichnet, präsentiert seine Figuren als liebenswerte Normalos mit Schrullen und bringt nebenbei auch noch auf unterhaltsame Weise Tradition und Kultur Algeriens mit unter.

Ce Que Mes Yeux Ont Vu
Die Kunst lässt den Wettbewerb nicht los. Laurent de Bartillat schickt seine Protagonistin, gespielt von Sylvie Testud (bekannt aus ‚Jenseits der Stille'), auf die Suche nach einer möglichen, bisher nicht bewiesenen Romanze des damals - im frühen 18 Jhdt.- lebenden Malers Watteau. Das klingt nach Detektivarbeit, ist aber weniger spannend als erhofft und war inhaltlich auch schon mal so oder ähnlich in einem anderen Film zu sehen. Unter der Oberfläche verbirgt sich so manches Geheimnis. So scheint es. Langsam geht das Suchspiel aber voran, zu langsam, und auch die Figur des gescheiterten Watteau-Experten und Universitätsprofessors Jean Dussart (gespielt von Jean-Pierre Mellville) kann nur wenig den Spannungsfaktor erhöhen. Interessanter wird's dann in den letzten 20 Minuten schon noch, doch das kann den Film nicht vor dem Mittelmaß retten.

Faubourg 36
Das Nachfolgeprojekt von Christoph Barratiers ‚Die Kinder des Monsieur Mathieu' ist im Theatermilieu in den 30ern angesiedelt. Im Mittelpunkt steht Pigoil (Gérard Jugnot), der nicht nur den Niedergang seines Theaters miterleben muss, zu allem Überdruss verlässt ihn seine Frau und nimmt den gemeinsamen Sohn mit. Da hilft nur eins. Sich den Job zurückholen um den Sohn wiederzubekommen. Die Geschichte des lieben Vaters, der um den Sohn kämpft ist nicht neu und so punktet ‚Paris, Paris' (so der deutsche Verleihtitel) vor allem durch seine vielfältigen, interessanten Charaktere und einer tollen Ausstattung, die den nostalgiewilligen Zuschauer in die 30er Jahre zurückversetzt. Zwar verteilt der Film einige Spitzen gegen den damals aufkommenden Faschismus Frankreichs, geht aber mehr als warmherzige Komödie durch und demonstriert ‚Gemeinsam schaffen wir alles'- Gefühle, wenn das Musical-Theater wieder aufgebaut wird. The show must go on. Ab 27.11.08 auch in deutschen Kinos.

Borderline
Ein Beitrag aus Kanada. Eine Romanverfilmung um eine Frau, die in ihrer Kindheit nie die Liebe erfuhr wie es hätte sein sollen. Das Schicksal beschert Kiki eine Mutter, die psychisch krank ist und daher unfähig ein Kind vernünftig großzuziehen. Ausgangspunkt ist die Kiki im Alter von 30 Jahren, die versucht einen Roman zu schreiben aber immer wieder auf Erlebnisse in früheren Lebensphasen zurückblickt - mit 10 Jahren, als man sie zu einer Pflegefamilie abschieben wollte oder mit 20 Jahren als sie ihren Mangel an mütterlicher Liebe mit sexuellen Abenteuern zu kompensieren versucht. Heute mit 30 Jahren bekennt sie sich zu ihrer Sexsucht und hat ein Verhältnis mit dem 23 Jahre älteren, verheirateten Literaturprofessor. Die aus Quebec stammende Schauspielerin Isabelle Bais schont sich und ihren Körper nicht die Zerrissenheit der Protagonistin unmissverständlich darzustellen und die Regiedebutantin Lyne Charlbois versteht es diesen Einsatz mit einer auch visuell interessant gestalteten Geschichte zu verbinden. "Borderline" ist nicht so düster wie thematisch ähnlich gestrickte Filme, besitzt aber genug Tragik und auch Hoffnung um das Interesse des Betrachters wach zu halten.

9 mm
Zum ersten Mal arbeitet der in der Türkei geborene und in Belgien lebende Regisseur Taylan Barman mit ausgebildeten Schauspielern. Seine bisherigen Projekte realisierte er mit Freunden, Bekannten und Laiendarstellern. Was sich in "9 mm" auch änderte war die konsequente, durchdachte Vorbereitung, denn Barmans Film ist während seiner 95 minütigen Laufzeit in nur 60 Sequenzen unterteilt. In heutigen Zeiten des wilden MTV-Schnitts fast ein Unikum. Nur wenige Regisseure verlassen sich heutzutage fast ausschließlich auf die Wirkungskraft der Schauspieler ohne dass Gefühle durch einen zugefügten Musikscore für das Publikum verstärkt werden. Und das ist das Interessante an "9 mm", einer Geschichte um eine Durchschnittsfamilie, deren Zusammenbruch bevorsteht. Von Konflikten und Wahrheiten, die seit dem Unfall des Vaters köcheln. Alle drei Familienmitglieder - Vater, Mutter und Sohn - werden in separaten Handlungssträngen beobachtet, wie sie ihren Tag verbringen. Überschneidungen sind da aus dramaturgischen Gründen unabdingbar. Wer hinter dem Filmtitel Action vermutet, der wird eintäuscht, denn Langsamkeit hat hier System und die Inszenierung funktioniert, wenn man sich auf sie einlässt. Insbesondere dank einer starken Besetzung und fesselnden Charakteren.

Desweiteren im Programm:
home, eldorado, lads et jockeys, les grandes personnes, entre les murs

Markus Klingbeil. 16.11.08.
 
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