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2011
Bilder © Alamode Filmverleih
**** Der Junge mit dem Fahrrad
jean-pierre dardenne, luc dardenne


Das 11-jährige Heimkind Cyril will zurück zu seinem Vater, landet zunächst aber bei der netten Apothekerin Samantha und muss lernen auf wen er im Leben vertrauen kann.

Cannes ist ein gutes Fleckchen für die belgischen Regiebrüder Jean-Pierre und Luc Dardenne. Seit 1999 sind sie mit fünf Filmen beim französischen Filmfestival an der Côte d'Azur angetreten und haben immer einen Preis abgeräumt. Mal den Hauptpreis der Goldenen Palme, mal die Preise für beste/n SchauspielerIn oder für das Drehbuch. Für „Der Junge mit dem Fahrrad“ erhielten sie den Großen Preis der Jury und waren im Wettbewerb für die Goldene Palme als bester Film vertreten. Nachvollziehbar ist diese öffentliche Anerkennung schon, denn die aus dem Leben gegriffenen Geschichten sind ohne schnick-schnack gedreht und interessant erzählt. Auf manche wird der nüchterne Erzählstil ohne Kamerafinessen, ohne perfekt ausgeleuchtete Spieleorte und ohne Musikscore zunächst sperrig oder abschreckend wirken aber letztlich sind es die Charaktere und ihre Erlebnisse, die einen guten Film ausmachen.

„Der Junge mit dem Fahrrad“ dürfte mit seinem unaufdringlichen märchenhaften Schleier wohl der am einfachsten zugängliche Film der Dardenne-Brüder seit langem sein. Und mit dem 13 Jahre jungen Thomas Doret, der hier sein Filmdebüt gibt, haben sie gleich einen tollen Hauptdarsteller für uns entdeckt. Natürlich und ungezwungen wirkt sein Spiel als vom Vater ins Heim abgeschobener Knabe, der sich nichts sehnlicher wünscht als wieder bei seinem Vater zu wohnen und mit seinem Fahrrad so oft und lange wie möglich durch die Gegend zu radeln. Der graue Alltag mit seinen Widrigkeiten wird auch personifiziert durch Jérémie Renier (Das Schmuckstück), oft von den Dardenne-Brüdern in ihren Filmen besetzt. Renier überzeugt als Loser-Vater, der sich mehr schlecht als recht als Koch durchs Leben schlägt und die Last Vater zu sein und Verantwortung für Cyril zu tragen nicht Schultern kann. Was ihm an Warmherzigkeit fehlt verströmt dafür umso mehr Samantha, die sich bereit erklärt mit Cyril an den Wochenenden Zeit zu verbringen und mit dem Jungen den Vater zu suchen.

Ernst nimmt der Film die Annäherung der beiden so unterschiedlichen Figuren von Anfang an und ihre Entwicklung bleibt stets glaubhaft. Kein Kitsch, keine Sentimentalität. Dank einer kaum merklichen Regieführung wirkt keine Aktion forciert oder der Dramaturgie wegen künstlich in die eine oder andere Richtung gedrängt. Mit dafür verantwortlich ist eine vielseitige Cécile De France (Off Limits – Wir sind das Gesetz), der man immer gerne beim Spiel zusieht (vergessen wir mal den verunglückten Clint-Eastwood-Esoterik-Quark „Hereafter – Das Leben danach). Als Samantha steht sie bald vor der Entscheidung sich einem jungen Menschen komplett zu widmen und ihm Priorität in ihrem Leben einzuräumen oder lieber fokussiert zu bleiben auf eine andere Art von Beziehung zu einem gleichaltrigen Menschen. Wie Cyrils Auftreten bei Samantha trotz Schwierigkeiten und falschen Entscheidungen Eindruck macht so bleibt man von diesem Prozess der Zukunftsplanung/-findung als Zuschauer auch nicht unberührt. Denn so feige und unkommentiert vor Problemen weglaufen, wie Cyrils Vater es tut, das ist nicht Samanthas Stil.

Ein faszinierendes, gut gespieltes, realitätsnahes Sozialdrama, das aber nicht zur Depressionstour wird. Filme mit Substanz – nicht anders darf man es von den Dardenne-Brüdern erwarten.


Text © Markus Klingbeil
10.02.2012

Der Junge mit dem Fahrrad
(Le gamin au vélo)

F/B/ITA 2011. Farbe. Originalsprache: Französisch. Länge: 87 Min. Bildverhältnis: 1.85:1 Kinostart: 18.05.2011 (B) 09.02.2012 (D). Budget: n/a Einspiel: n/a Regie: Jean-Pierre Dardenne, Luc Dardenne. Buch: Jean-Pierre Dardenne, Luc Dardenne. Kamera: Alain Marcoen. Schnitt: Marie-Hélène Dozo. Musik: n/a Darsteller: Thomas Doret, Cécile De France, Jérémie Renier, Fabrizio Rongione, Egon Di Mateo, Olivier Gourmet

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© Layout, Text: Markus Klingbeil, Bilder: Filmverleih