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2005
Bilder © Arsenal Filmverleih
* Eine fatale Entscheidung
xavier beauvois


Im Pariser Morddezernat treffen zwei Personen aufeinander, die ein neues Kapitel in ihrem Berufsleben aufschlagen wollen. Die erfahrene Kommissarin Caroline Vaudieu (Natalie Baye), die nach drei Jahren hinter dem Schreibtisch wieder dem Verbrechen auf der Straße nachgehen will und Antoine Derouère (Jalil Lespert), ein Frischling von der Akademie, der sich auf Action in der Großstadt freut. Ein Mord am Ufer der Seine wird für beide zum Geduldsspiel.

Mehr Realismus im Film wird ab und zu vom Betrachter eingefordert. Denn zu oft sieht man den Helden oder den Schurken insbesondere im amerikanischen Actionfilm in unlogischen, unwahrscheinlichen, arg konstruierten Situationen herumirren um Schauwerte zu bedienen, die als Zutaten für einen Unterhaltungsfilm kaum wegzudenken sind. Ist das so ? Nur nicht zu kompliziert machen scheint die Devise, dafür lieber mal ein paar inhaltliche Abkürzungen nehmen, die aber spektakulär sind. Schließlich ist es Unterhaltung. Den französischen Schauspieler Xavier Beauvois scheint das besonders zu ärgern gibt er doch mit seiner fünften Regiearbeit ein unmissverständliches Statement ab.

Nüchtern, spartanisch ohne große Gesten kommt sein Film "Le petit Lieutenant" (O-Titel) aus und wirft einen Blick auf die Polizeiarbeit in einem französischen Kommissariat wo ein Neuling lernen muss, dass die Knarre erst einmal im Halfter bleibt und stattdessen in mühseliger Kleinarbeit ermittelt wird. Die erste Hälfte des Films widmet Beauvois auch dem jungen Kommissar Antoine (Lespert), ein Bursche aus der Normandie, der sich kurzfristig für Paris als neuen Arbeitsplatz entschieden hat und gegen ein Zusammensein mit seiner Frau, einer Lehrerin, die seinetwegen in Le Havre angeheuert hat. Das war die ursprüngliche Absprache. In Le Havre sollte beider Zukunft liegen.

Als Gegenpol zum Frischling setzt Beauvois auf die etablierte Darstellerin Natalie Baye (Eine pornographische Beziehung), knapp 30 Jahre älter als ihr Kollege Lespert, die als Kommissarin mit Alkoholproblemen wieder den Schritt nach draußen wagt, auf die Straßen Paris, wo sie ihre Dämonen und Versuchungen locken. Seit zwei Jahren ist sie trocken und besucht auch regelmäßig die Treffen der anonymen Alkoholiker. Baye spielt ihre Figur sehr reserviert, sehr ökonomisch als wäre jede Geste eine zuviel. Begründet wird das durch eine traumatische Erfahrung in ihrer Vergangenheit, die dazu führt, dass sie ein besonderes, quasi mütterliches Verhältnis zu Antoine aufbaut.

Die dramaturgischen Orientierungspfosten sind also angebracht, ein drangvoller Polizist trifft auf eine abgeklärte Kommissarin, beider Privatleben verspricht Spannungspotential und der komplizierte Mordfall an einem polnischen Weinerntearbeiter bietet Gelegenheit um entweder ein cleveres Ermittlerteam zu zeigen oder einen kaputten Polizeiapparat bloßzustellen. Das hat Regisseur Beauvois, der mit drei weiteren Autoren am Drehbuch schrieb aber nicht im Sinn. Sein Film stellt sich gegen die Genrekonventionen, entpuppt sich als krasser Gegensatz zum adrenalinfördernden Spannungsthriller, den wir nicht nur aus Amerika sondern auch aus Frankreich kennen. Fast schon im dokumentarischen Stil begleitet er seine Protagonisten und verlässt sich auf die dargestellten Situationen um sich das Interesse des Publikums zu sichern.

Ganz ohne musikalische Hilfe, nur Umgebungsgeräusche (Michael Haneke freut sich jetzt), oft statischer Kamera und einer Bilderabfolge, die zäh darum ringt nicht durch einen Umschnitt in den Verdacht zu geraten man würde sich hier einem MTV-Publikum anbiedern wollen, bemüht sich Beauvois um Authentizität. Mehr Informationen bringt er in seinen langen Szenen deswegen aber nicht unter, vielmehr wirken die Dialoge zunehmend banal und kaum förderlich für den Fortgang der Geschichte. Schließlich geht es auch darum einen Mord aufzuklären - ein zweiter kommt noch hinzu - aber die Spannungsschraube wird nicht angezogen, weil schon die ersten Schritte vom unerfahrenen Protagonisten in der Großstadt Paris uninspiriert erzählt werden. Das hat dann mehr Realismus als dem Film gut tut und wirkt ziemlich bieder.

70 Minuten (!) spannungsloses Vorspiel leistet sich Beauvois bevor der eine fatale Fehler passiert, der das Kommissariat und seine Protagonisten aufrüttelt, ihnen einige Emotionen zugesteht. Aber wie die letzte Zuckung des sterbenden Patienten muss man doch alle Hoffnung auf Besserung, auf ein ansprechendes Schlussdrittel schnell wieder begraben. So wünscht man sich das Ende dieses auf 110 Minuten gestreckten, ereignislosen Dramas sehnlichst herbei und kann sich nur über den schlechten Scherz von Beauvois wundern die Kommissariatsräume mit Postern von amerikanischen und französischen Action- und Gangsterfilmen (z.B. Reservoir Dogs), ausgestattet zu haben. Da lacht dann wohl nur der Regisseur und dreht uns eine lange Nase.

In Frankreich waren die Kritiker aber begeistert und verteilten Höchstnoten am laufenden Band was 547.513 Zuschauer zum Kinobesuch verleitete. In Deutschland waren es gerade noch 8.514. Bei den Césars (frz. Filmpreis) wurde der Film fünfmal nominiert u.a. in der Kategorie bester Film und beste Regie. Ausgezeichnet wurde nur Natalie Baye als beste Hauptdarstellerin. Isabelle Huppert (für "Gabrielle") hatte da das Nachsehen. Großer Gewinner bei der damaligen Preisverleihung war der Film "Der wilde Schlag meines Herzens", der gleich acht Trophäen abräumte (u.a. bester Film, beste Kamera, beste Regie).

DVD (Arsenal Filmverleih, RC2, PAL)

"Eine fatale Entscheidung" ist Teil der Serie "12 Meisterstücke des französischen Kriminalfilms" von der Süddeutschen Zeitung Cinemathek. Das Bild liegt im ordentlichen 1.85:1-Format (anamorph), die Tonspuren in deutsch und französisch (jeweils DD2.0 / DD 5.1) vor. Deutsche Untertitel sind verfügbar. Im Klappentext referiert Filmkritiker Hans Schifferle über den Film. Außerdem stellt ein kurzer Text den Regisseur vor und es gibt Texthinweise auf die anderen Filme in der Kriminalfilm-Reihe. Sonst gibt es nur den deutschen Trailer im 4:3-Letterbox-Format.

So fade und lasch wie die Geschichte von zwei unterschiedlichen Kommissaren und dem Mord an einem Wanderarbeiter inszeniert ist, so wenig berühren einen die Schicksale der Protagonisten. Dieses verkappte TV-Dokudrama langweilt fürchterlich und wird zunehmend zum zeitverschwenderischen Ärgernis. Polizeiarbeit mag in Wirklichkeit mit dem coolen, aufregenden Kinomythos nichts zu tun haben (so blöd ist der Zuschauer nun auch nicht, dass er das nicht selber weiß), aber öde vorgetragen will man diese Belehrung auf zwei Stunden gestreckt nicht sehen. Französisches Genrekino zum Abgewöhnen.


Text © Markus Klingbeil
VÖ: 09.08.2010

Eine fatale Entscheidung

(Le petit lieutenant)

Frankreich 2005. Farbe. Originalsprache: Französisch. Länge: 110 Min. Bildverhältnis: 1.85:1 Kinostart: 16.11.2005 (F) 06.07.2006 (D). Budget: n/a Einspiel: n/a Regie: Xavier Beauvois. Buch: Xavier Beauvois, Cédric Anger, Guillaume Bréaud, Jean-Eric Troubat. Kamera: Caroline Champetier. Schnitt: Martine Giordano. Darsteller: Nathalie Baye, Jalil Lespert, Roschdy Zem, Antoine Chappey, Jacques Perrin, Bruce Myers, Patrick Chauvel.
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© Layout, Text: Markus Klingbeil, Bilder: Filmverleih